4. Kritik am Zoo allgemein

4.1. Welchen Stellenwert hat der Kolonialismus in der Entstehungsgeschichte der Zoologischen Gärten?

4.2. Was bedeutet die Unterbringung in Zoos für die Tiere?

4.3. Tragen Zoos zum Artenschutz bei?

4.4. Inwiefern kommen Zoos einem Bildungsauftrag nach?

4.1. Welchen Stellenwert hat der Kolonialismus in der Entstehungsgeschichte der Zoologischen Gärten?

Das Zeitalter des europäischen Imperialismus steht in engem Zusammenhang mit der Entstehung der ersten Zoos:

„Die Europäer:innen entdeckten neue Länder und betrachteten sie sogleich als Eigentum. Sie raubten Menschen, Tiere, Pflanzen und Kulturgüter und brachten sie in ihre Gebiete, als Symbol der Eroberung und ihrer Überlegenheit. […] In den Satzungen der Zoogesellschaften stand das Sammeln von Tieren an oberster Stelle. Als Ableger des Kolonialismus entstand die Idee der Völkerschauen.“ (Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 5f.)

Deren Erfinder war Carl Hagenbeck, welcher in der Idee, Tiere und Menschen als Einheit zu präsentieren, eine weitere Einnahmequelle sah. Aus der schon seit längerer Zeit auf Jahrmärkten praktizierten Zurschaustellung von Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen entwickelte er die anthropologisch-zoologischen Ausstellungen, in denen Menschen und Tiere ferner Länder zusammen mit Alltagsgegenständen gezeigt wurden.

„Von 1871 bis Ende der zwanziger Jahre fand diese widerliche Form des Rassismus statt und wurde von Zoos als Beitrag zur Wissenschaft gesehen.

In der eurozentristischen, rassistischen Weltanschauung war es naheliegend, auch Menschen zur Schau zu stellen, wurden sie doch als Bindeglieder zwischen weißen Menschen und Menschenaffen gesehen. Sie wurden als den wilden Tieren nahestehender als dem weißen Menschen bewertet, zu Karikaturen ihrer selbst degradiert und bildeten zusammen mit den nichtmenschlichen Opfern in der Schau eine Einheit, denen sich die Europäer:innen überlegen und mächtig fühlen konnte. Die Mischung aus ethnozentrischen und religiösen Vorstellungsmustern der Europäer sorgte bis ins späte 18. Jahrhundert dafür, dass Schwarze in der Regel noch nicht entwicklungsgeschichtlich zugeordnet werden konnten. Daher wurden sie „oft genug als Kreuzung zwischen Menschenaffen und schwarzen Frauen, bestenfalls als Übergang zwischen Affen und Menschen“ (Quelle: Geiss, Imanuel: Geschichte des Rassismus, S. 147) betrachtet. Die Abwertung afrikanischer Lebensformen führte nicht nur zur Legitimation von Tiermord und Tierhandel um sich zu bereichern, sondern auch zum transatlantischen Sklavenhandel.

Im Zoo Dresden fand die erste Völkerschau ab 1878 statt.“ (Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 5f.)

4.2. Was bedeutet die Unterbringung in Zoos für die Tiere?

Die Zoos können für die allermeisten Tiere nicht die für sie notwendige, natürliche Umgebung abbilden:

„Gehege werden nicht so gebaut, dass sie sich Verhaltensweisen oder der natürlichen Umgebung der Tiere anpassen, sondern so, dass die Tiere möglichst gut gesehen werden können. Erlebniswerte und Erholungsfaktoren für den Menschen sind entscheidend.

Wildtiere sind vom Körperbau und der Leistungsfähigkeit dafür geschaffen, weite Distanzen zurückzulegen und mit ihren Sinnesorganen Beute oder Nahrung zu erfassen. In Gefangenschaft haben sie keine Möglichkeit, ihre Körper auszulasten und ihre angeborenen Sinne zu nutzen. In Zoos werden sie nie wieder rennen, ihren Wandertrieben nachgehen, ihre Reviere sichern und verteidigen können, Wasserstellen suchen oder Wohnplätze bauen können. Sie werden nicht segeln, Flüsse durchschwimmen, Berge erklimmen, jagen oder Partner:innen wählen können.

Im Zoo werden die fundamentalen, unabdingbaren Bedürfnisse des Individuums ignoriert. Herausgerissen aus seinem natürlichen Bezugssystem, werden die Wurzeln seines psychischen Gleichgewichtes zerstört. Mit der Gefangennahme beginnt der erste Schritt in den Wahnsinn.

Folgen sind Koprophagie, verfrühte sexuelle Reife, sexuelle Hyperaktivität, Verlängerung der Laktationsperiode, Inzest, Hypertrophien, Nahrungsverweigerung oder Fresssucht. Erbkrankheiten und andere Anomalien sind häufig die Folge der auf Inzucht basierenden eingeschränkten genetischen Vielfalt. In viel zu kleinen Gehegen, permanent konfrontiert mit der Bedrohung Mensch, entwickeln die Tiere ständig neue unnatürliche oder krankhafte Verhaltensweisen, die sich im Laufe der Generationen verfestigen und sie unfähig machen, in freier Natur zu überleben. Bei konsequenter Auslegung des Tierschutzgesetzes müssten alle Zoologischen Gärten verboten werden.“ (Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 21f.)

Von sich heraus haben die Zoos übrigens grundsätzlich nie ihre kritikwürdigen Haltungsbedingungen geändert:

„Nur durch internationale Schutzbestimmungen wurden sie gezwungen, sich Druck von außen zu beugen. Angefangen bei Importverboten von Wildfängen aufgrund drohender Ausrottungen von Tierarten bis zu winzigen Veränderungen der Gehege, die in fast allen Fällen zu klein sind, wehren sich Zoos auch noch (teilweise erfolgreich) gegen Verbesserungen unhaltbarer Situationen, wie der Dresdner Zoo 1999 gegen internationale Artenschutzübereinkommen. Zoodirektoren deklarieren die natürliche Umgebung von Wildtieren zu einem Ort voller Zwänge, Gefahren und Nöte. Sie wären vor Beutegreifern, Hunger, Krankheiten geschützt und ihr längeres Leben sei ein Beweis für ihr erfülltes Dasein. So wird das Altern als Kategorie für eine menschliche Gesellschaft auf Zootiere übertragen, die Naturhaftigkeit der Natur abgewertet und zum Feind der Tiere erklärt, als gehörten sie nicht hinein. Der Anspruch zu wissen, welches Verhalten natürlich, sinnvoll oder zweckfrei sei, wird behauptet, um die Bedingungen im Zoo als die angenehmeren zu bewerten. Der Entzug der Möglichkeiten zur Futtersuche, Jagd, Partnerwahl und Rivalenkonflikte wird zur Errungenschaft umgedeutet.“ (Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 18)

4.3. Tragen Zoos zum Artenschutz bei?

„Gemessen an der Geschwindigkeit, mit der der Mensch Tierarten ausrottet, haben die Zoos der letzten 150 Jahre weniger Arten gerettet als am heutigen Tag aussterben werden.“ (Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 15)

„Zoos haben vor allem in der Vergangenheit durch ihren verlustreichen Fang von Wildtieren zum Aussterben der Tierarten beigetragen und erklären sich nun selbst zur Artenerhaltungsinstitution.

Arterhaltung ist ein wichtiges Argument, um die Existenz von Zoos zu rechtfertigen. Obwohl in vielen Zoos eine Artenreduktion eingesetzt hat, weil Tierarten, die sich in Gefangenschaft nicht vermehren, aufgegeben werden, steigt die Zahl der gehaltenen Säugetiere an. Durch diese Arterhaltungszuchtprogramme werden viele Tiere erzeugt, die deshalb überflüssig sind, weil die Zoos keine Kapazitäten für sie haben. Zu den überflüssigen Tieren zählen aber nicht mehr nur alte und kranke, sondern alle unabsichtlich oder absichtlich entstandenen Unterarthybriden, alle behinderten oder mit Schäden geborene Tiere, Tiere mit nicht benötigter genetischer Varianz oder unerwünschten Geschlechts. Mit den Artenschutzprojekten nimmt die Zahl der überflüssigen Tiere beständig zu. Um die Überbevölkerung in den Zoos zu stoppen, drängt der Verband der deutschsprachigen Zoodirektoren¹ darauf, die Tötung von Tieren, wegen nicht vorhandener Haltungsmöglichkeiten, in das Tierschutzgesetz (TierSchG) aufzunehmen. Für den Verband ist das Töten aus „Populationsmanagementgründen“ ein vernünftiger Grund, der nach dem TierSchG gegeben sein muss“, um systematisch Tötungen durchführen zu können.

(Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 13f.)

¹ 2014 Umbenennung in „Verband der Zoologischen Gärten e.V“

„ZOOS ALS ARCHE NOAH?

Wir wissen nicht, wie viele Tierarten gefährdet sind. Eine Hochrechnung geht von acht Millionen existierender Spezies aus, von denen nur zwölf Prozent beschrieben sind. Die Rote Liste der Weltnaturschutzorganisation erfasst lediglich 76 277 Arten, mithin ein Prozent der vermuteten Diversität. Dabei gelten 18 Prozent der 9316 erfassten Wirbeltier-Spezies und 23 Prozent der 5419 Wirbellosen als bedroht – insgesamt 14 735 Arten. [sic]² Werden die insgesamt 19 Prozent gefährdeten Tierarten hochgerechnet auf die potenzielle Spezieszahl, wären knapp 1,5 Millionen bedroht.

Aus diesem traurigen Faktum leiten VdZ-Zoos [VdZ: Verband der Zoologischen Gärten] eine Berechtigung ab, auch noch nicht bedrohte Arten zu halten – als „Notanker“, um „im Bedarfsfall auf sie zurückgreifen zu können“. Doch welche Dimension hat die Arche Noah inmitten der Sintflut? Zoo-Haltung bewahrte im letzten halben Jahrhundert rund 50 Tierarten vor dem Aussterben, also eine pro Jahr. Das sind 0,3 Prozent der 2020 auf der Roten Liste stehenden Spezies oder 0,003 Prozent der vermutlich insgesamt bedrohten Arten. Selbst wenn Zoos ihre Effizienz in kürzester Zeit auf 500 gerettete Arten verzehnfachten – was nicht geschehen wird –, wäre das noch immer ein Tropfen auf den heißen Stein.

Überdies werden keineswegs Arten gerettet, wenn Individuen in Zoos überleben. Eine Spezies ist ein komplexes Ganzes, sie besteht aus in Ökosysteme eingebetteten Organismen, die Klima, Nahrungserwerb, Krankheiten, Fressfeinde und Fortpflanzung navigieren müssen – was das Erbgut entsprechend kodiert. Fallen diese Faktoren weg, bleiben künstlich am Leben erhaltene Tierhüllen übrig, keineswegs „gerettete Arten“.

ZOOINSASSEN ALS ARTENBOTSCHAFTER?

In Zoos gehaltene Tiere werden von Verantwortlichen gerne als „Botschafter“ ihrer Arten und deren Überlebensprobleme bezeichnet. Das ist ziemlich zynisch, denn wir sollten uns klar vor Augen führen, dass eine Existenz „im Gewahrsam von Menschen“ für viele Zooinsassen mit immensem Leiden einhergeht, speziell für jene, die natürlicherweise großen Raumbedarf haben. Für verurteilte Kriminelle ist die schlimmste Strafe lebenslängliche Haft – also bei regelmäßiger Verpflegung, medizinischer Versorgung, Beschäftigungstherapie und Ausgang im Hof eingekerkert zu sein. Wenn Menschen diese Routine als nicht optimal erleben, wie können da für immer eingesperrte Eisbären, Giraffen, Löwen, Nilpferde und Co. solchen Alltag erquicklich finden – zumal sie ja meist mit weniger Platz auskommen müssen als Sträflinge? Dabei ist ziemlich irrelevant, ob Tiere die Situation mental als Gefangenschaft wahrnehmen – obwohl Wale und Delfine, Elefanten oder Menschenaffen durchaus verstehen dürften, welche Restriktionen ihnen aufgezwungen werden.“

(Quelle: Manfred Niekisch/Volker Sommer: Artenschutz durch Zoos, in: APuZ 9 (2021), 31–38, hier: S. 37f., online unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/327658/der-zoo)

² Nach unserem Verständnis ist gemeint: „Dabei gelten 18 Prozent der erfassten Wirbeltier-Spezies (9316 Arten) und 23 Prozent der Wirbellosen (5419 Arten) als bedroht – insgesamt 14 735 Arten.“

4.4. Inwiefern kommen Zoos einem Bildungsauftrag nach?

„Neben der Erholung und Unterhaltung sollen Zoos heute vor allem der Bildung dienen, um den Besucher:innen sowohl die „Welt der Tiere“ als auch die Probleme des Arten- und Naturschutzes nahe zu bringen. Die Behauptung der Zoos, Naturschutz zu vermitteln ist aber absurd, wenn Menschen beim Betrachten von Tieren in künstlicher Umgebung deren natürliche Lebensräume kennen und schätzen lernen sollen, damit sie sie schützen können. Zoos vermitteln ein völlig falsches Bild der Natur. Zum einen wird die Gefangenschaft von Tieren als völlig unproblematisch dargestellt, zum anderen sind die in Gehegen und Käfigen lebenden Tiere keine echten Vertreter:innen ihrer freilebenden Artgenossen.

Das Argument, das entstehende Interesse für die Tiere durch die reale Begegnung mit ihnen sei eine positive nicht zu leugnende Tatsache, ist hinfällig.“ (Quelle: Tierrechtsgruppe Dresden (2011): Der Zoo Dresden, S. 18)

„Vertreter von VdZ-Zoos behaupten häufig, ihrem Publikum Natur- und Artenschutz nahezubringen. Der Direktor der Stuttgarter Wilhelma schreibt beispielsweise, besonders Kinder würden „für die Verantwortung für das Mitgeschöpf Tier sensibilisiert“.

Allein, das Gegenteil ist der Fall. Besucher – und speziell Kinder – werden systematisch desensibilisiert. Denn das Zooerlebnis normalisiert eine Situation, in der „Mitgeschöpfe“ hinter Gittern, Panzerglas, Kunstfelsen und Wassergräben interniert sind – was die orthodoxe Separierung von Mensch und Tier im wahrsten Sinne des Wortes zementiert und keineswegs die Achtung anderer Kreaturen fördert. Ausgestellte Tiere zu betrachten, konditioniert uns von Kindesbeinen an, Zerrbilder für Natur zu halten und den Widersinn auszublenden, dass „wilde“ Tiere eingesperrt sind.

Studien belegen zudem, dass Zoobesuche selbst bei besonders an Tieren Interessierten in aller Regel nicht zu einem gesteigerten Engagement beim Naturschutz führen. Zudem mag der Effekt eintreten, dass Bedrohungen unterschätzt werden – weil die Tiere ja in einer vermeintlich sicheren Umgebung leben.“

(Quelle: Manfred Niekisch/Volker Sommer: Artenschutz durch Zoos, in: APuZ 9 (2021), 31–38, hier: S. 35, online unter: https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/327658/der-zoo)